Über Leben und Arbeiten in der Türkei – Ein Beispiel

Mein Bekannter hatte in den letzten fünf Jahren drei Jahre Festanstellung im Hotelmanagement in Alanya. Da er über fünfzig Prozent der Zeit beschäftigt war, hört sich das gut an, aber wenn man weiß, dass man in den Urlaubsregionen in der Hotellerie nur saisonal beschäftigt ist, wenn man nicht gerade zum harten Kern der Hotelmannschaft gehört, die zwölf Monate beschäftigt werden, relativiert sich das Ganze. So war er in 60 Monaten nur 18 Monate beschäftigt. In dieser Zeit hat er ungefähr zehn Monate tatsächlich Gehalt bekommen und zwar mit zwei bis drei Monate Verspätung. Die restlichen Monate bekam er sein Gehalt, als er mit dem Arbeitsgericht drohte erst Monate später. Ich kenne die Details sehr gut, zumal ich ihn gut leiden konnte, wir uns über allerlei Dinge unterhielten, er im Nachbarhaus wohnte und immer auf seine Eltern schimpfte, die 1994 aus Deutschland zurückgekehrt waren. „Mich hätten sie wenigsten zurücklassen können!“ sagte er, wohlwissend, dass er damals erst 14 Jahre alt war. „Ali allein in Deutschland“ sozusagen.

Oft spielte er Möglichkeiten durch, wie er evtl. nach Deutschland schaffen könnte. Sich scheidenlassen, eine deutsche Frau heiraten und hoffen, dass die Ehefrau, die Frau seines Herzens, dabei mitspielt. Sie spielte mit, aber in anderer Form. Eigentlich passierte noch etwas was er geplant hatte, aber nicht wie vorgesehen.

Wieder war er bei einem seiner jährlichen vierzig bis fünfzig Vorstellungsgespräche. Im Zimmer des Geschäftsführers sollte die letzte Entscheidung fallen, ob er in der Saison 2016 beschäftigt sein würde. Wir hatten schon April, eigentlich fast zu spät um noch hoffen zu können in der Urlaubshotellerie. Der Chef stellte eine Frage, die ihm bis dahin noch nie gestellt wurde: „Ist Ihre Frau Kopftuchträgerin?“ Eigentlich benutzt man in der Türkei den Begriff: „Bedeckt“ statt „Kopftuchträgerin“. Hinter dem Geschäftsführer hing das Bild von Atatürk, aber er wusste, dass er in der Türkei von heute daraus keine Gesinnung ableiten konnte. Alles spielte sich im Bruchteil einer Sekunde ab. Er hätte sich kurz nach unten gebückt um Zeit zu gewinnen, sagte er. In dem Moment wäre die Tür aufgegangen und eine „Bedeckte Frau“ brachte Tee. Er antwortete daraufhin: „Meine Frau ist bedeckt!“ „Dann ist ja gut, du kannst morgen Anfangen!“. Zuhause angekommen, musste die Ehefrau sich bedecken. Daraufhin dachten die Frauen im Haus, dass die Familie AKP nah ist und bedeckten sich ebenfalls. Es fingen an noch andere Frauen der Umgebung sich zu bedecken, aus Angst, sie könnten sonst Nachteile davon haben. Der Teil seines Plans Richtung Deutschland funktionierte. Seine Frau wollte nicht bedeckt leben und ließ sich scheiden. Seit 2017 ist er ohne Arbeit und Ehefrau und Deutschland ist auch weit weg.

Mitunter ein Klassiker unter den Alanya Fotos, die ich geschossen habe, als ich dort lebte. Alanya ist wie eine Droge. Manche sagen “Dort könnte ich nicht leben, zu heiß im Juli und August, da bekommt man keine Luft.” Andere, wie ich z.B. werden, einmal dort angekommen, süchtig und wollen nirgendwo mehr hin. Ich könnte nirgendwo sonst leben. Sonnige Grüße aus Unterfranken. Es kam anders als gedacht. 🙂

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