Freiheit durch Wissen

Meine Tagesspiegel Kolumne von heute. Freiheit durch Wissen. Ahmet Refii Dener sinniert über Informationsdefizite.

Leif Eriksson segelte, Gutenberg druckte, Galileo wagte, Shakespeare dichtete, Elisabeth regierte, Mozart komponierte, Jefferson entwarf, Bolivar befreite, Lincoln bewahrte, Einstein träumte, Atatürk baute, Roosevelt führte, Gandhi predigte, Mutter Teresa heilte, Mandela triumphierte.“ So beschrieb Bill Clinton in 32 Worten die vergangenen tausend Jahre.

Es ist ärgerlich, dass die Druckmaschine bei den Osmanen verboten war. So fehlen den Menschen aus den Ländern, die damals zum Osmanischen Reich gehörten, Wissen und Bildung aus bald 450 Jahren. Die Länder, in denen Druckmaschinen im Einsatz waren, zogen davon.

Die nächste Informationsquelle war dann das Fernsehen. Die erste brauchbare Umsetzung gelang 1883 Paul Nipkow. Also zu einer Zeit, in der die Druckmaschine bei den Osmanen noch verboten war. Folglich brauchte man dort von der Erfindung des Fernsehens nichts zu erwähnen – wer sich ein Buch nicht vorstellen konnte, konnte sich erst recht keinen Fernseher vorstellen.

Wobei man – realistisch gesehen – die Nutzung des Fernsehers für eine breite Öffentlichkeit auf die 1930er Jahre legen sollte. Zu dieser Zeit konnten die ersten Fernsehbilder übertragen und empfangen werden. In der Türkei erfolgte die erste Fernsehausstrahlung 1952. Leider waren die Bilder nur innerhalb der Technischen Universität in Istanbul zu empfangen. Die breite Masse konnte in der Türkei erst Ende der sechziger Jahre Bekanntschaft mit dem Fernsehen machen – mit fast 40-jähriger Verspätung.

Beim Internet war die Zeitspanne zwar nicht so groß, doch der Informationsfluss und die Entwicklung verliefen weltweit umso schneller. Wer mit dem Internet fünf bis zehn Jahre später in Kontakt kam, hatte enorme Wissens-, Bildungs-, und Informationslücken. Hinzu kommt: Was bringt das Internet, wenn an jeder Ecke die Zensur wirkt? Wenn Wikipedia eines der Zehntausenden gesperrten Portale der Türkei ist, wisst Ihr Bescheid, wo das Land steht und wie die Absichten des Prächtigen sind. Er braucht Menschen, die nicht zu viel wissen, nichts hinterfragen und ihm alles glauben.

Wer modernste Handys importiert, modernste Maschinen und Anlagen aus dem Ausland einsetzt, Straßen, Tunnel, Flughäfen baut, ist nicht automatisch fortschrittlich. Er wahrt lediglich den Schein, dazuzugehören. Fortschrittlich sein, fängt in den Köpfen an und endet nicht damit, dass man um ein Stück Tuch diskutiert, das Frauenköpfe bedeckt oder nicht.

Kaltstart X - Das Buch von Ahmet Refii Dener

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