Der Mantel der Geschichte – Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel

EINMAL HINGESCHAUT. Der Mantel der Geschichte. Ahmet Refii Dener siniert über Qualität und Weiß-Schwarz-Malerei

Vergangene Woche benutzte ich für meine Kolumne ein Kindheitsfoto von mir. Mit einem Kamelhaarmantel. Das Foto war aus dem Jahr 1959 und zeigte mich auf dem Münchener Hauptbahnhof. Auf dem Bild oben ist mein Sohn – fast fünfzig Jahre später – mit dem gleichen Kamelhaarmantel zu sehen. Qualität zahlt sich eben aus. Beim Thema Kamelhaarmantel wird keinem von Euch das einfallen, was mir einfällt, nämlich „Weiße Türken“.

Erst in Deutschland wurde ich mit dem Begriff konfrontiert. In einem Gespräch sagte ein Freund, „tja, du bist halt ein Weißer Türke“. Zu Hause schaute ich nach, wie er mich einordnete. „Wikipedia“ erklärt es so: Weiße Türken’ ist ein in der Türkei gebrauchtes politisches Schlagwort für die urbane republikanische Elite. Weiße Türken stehen in einem gedachten Gegensatz zu den sogenannten Schwarzen Türken, womit islamisch geprägte Türken anatolischer Herkunft bezeichnet werden. Das Begriffspaar steht im Zusammenhang mit der Herausbildung einer Mittelschicht seit Ende des 20. Jahrhunderts und ist Ausdruck eines Elitebewusstseins und auch einer Verächtlichmachung einer als rückständig empfundenen Bevölkerungsschicht.“ Nach dieser Erklärung weiß ich, dass ich definitiv kein Schwarzer Türke bin, aber auch kein Weißer.

Aber der Ausgangspunkt meines Exkurses war ja der Kamelhaarmantel, den mir mein Vater von einer Geschäftsreise aus England mitgebracht hatte. Also doch ein Weißer Türke? In der Türkei gibt es gerade mal 1500 Kamele. Die hält man sich zwar nur zu Belustigung und für Selfies der Touristen, doch gibt man diesen gegenüber ein falsches Bild ab – schließlich verbindet man Kamele nicht mit Fortschrittlichkeit. Im heutigen Deutschland wird man aus diesem Text Diskriminierung ableiten. Was soll ich machen, es gibt ja auch die schwarze Null.

Null? Schon fällt mir der Prächtige ein, der in Syrien einmarschiert ist. Im Inland hat er ab und an Gutes vollbracht, aber im Ausland ist er eine Nullnummer. Alle Führer, Präsidenten, zumeist Diktatoren, aus dem arabischen Raum, die er zu seinen dicken Freunden zählte sind tot, abgesetzt, im Knast, oder sie wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. Jetzt soll so einer, der die Menschen im Lande entzweit hat und mit den Nachbarn der Türkei zerstritten ist, die Syrien-Operation „Friedensquelle“ zum Erfolg führen! Wenn ich sehe, wie er entscheidet und handelt, fallen mir irgendwie wieder die Kamele ein. Ahmet Refii Dener

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