Künstler der Retusche – Über das verschwinden meiner Lachfalten

Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel von heute. Die Fotografen in der Türkei scheinen ihr Wissen nur aus einer Quelle bezogen zu haben, denn ihre Vorgehensweisen ähneln sich, beziehungsweise sind fast identisch. Hochzeiten, Verlobungen, sonstige Feste Die Fotografen haben in der Türkei gut zu tun. Auch die Studioaufnahmen vor Hochzeiten, wenn sich die Paare noch lieben, ähneln sich haargenau. Auf einem Gruppenfoto musste ich mich mal suchen, denn retuschiert wird auf Teufel komm raus.

Ich denke, es hätte keinen Sinn, wenn die Türkei eine Mondmission starten würde. Eine glatte Mondoberfläche ohne Makel wäre das Ergebnis.

Auf dem Foto oben hatte der Fotograf keinen Polierauftrag von mir. Das Foto habe ich auf meinem PC gespeichert unter „AhmetGlanzfoto“. Ich habe von klein auf meine Lachfalten, sie machen mich aus, aber vergisst man dem Fotografen zu sagen, dass sie bleiben sollen, sind sie weg. Aber auch wenn man dem Fotografen sagt, er soll nichts retuschieren, legt er Hand an. Er hält sich für einen Künstler und sagt: „Einem Künstler muss man Freiräume lassen.“

Heutzutage muss man nicht einmal präsent sein, um auf einem Foto zu erscheinen. Dabei fällt mir der Sonnenuntergangsfotograf aus Alanya ein. Ihr kennt die Fotos, wo sich die Frauen toll schminken und ihre besten Sachen anziehen und die Männer ihre schönsten Bermudas tragen und mit Latschen zum Fototermin erscheinen. Der Fotograf bringt das Paar gerade in Position, die übliche, man könnte es die Missionarsstellung der Sonnenuntergangsfotografie nennen. Mann, Frau und in der Mitte die Sonne. In der nächsten Szene: Wie sie die Sonne mit den Händen einfangen. Von der Sonne war an diesem Tag nichts zu sehen.

Ich bekam Blickkontakt zum Fotografen. Wir kommunizierten mit Mimik und Gestik, aber immer noch in Türkisch. Mit Augenzwinkern, Kopf Richtung Nicht-Sonne und einer Handbewegung stellte ich lautlos meine Frage: „Wo ist die Sonne?“ Er schloss die Augen, neigte seinen Kopf und sah aus, als wollte er sagen: „Mach dir keine Sorgen, die Sonne ist da, du siehst sie nur nicht.“ Nach dem Fotoshooting setzte er sich mit dem Paar auf eine Bank und sie wählten die Sonne und den passenden Hintergrund aus einem Katalog aus. Der Fotograf zeigte seinen Favoriten unter den Sonnenuntergangsfotos. Es war ein Foto aus Fethiye, das ist ungefähr 330 Kilometer von Alanya entfernt. Das ist aber alles relativ, wenn man bedenkt, dass die Sonne 150 000 000 km von der Erde entfernt ist.

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