Wenn die Zentralbank der Türkei die Zinsen heute auf 1% herabsetzen würde

Der Geschäftsmann aus Ankara fuhr mit seiner teuren Limousine zur Arbeit und hörte im Radio türkische Volksmusik. Die Geschäfte liefen schon lange schlecht, eigentlich hatte er Angst davor demnächst Konkurs anmelden zu müssen. Im Gedanken versunken fuhr er weiter. Es könnte passieren, dass er alles verliert, auch privat. Er hoffte mal endlich eine positive Nachricht aus Ankara zu hören, die ihm zur Hoffnung Anlass gab. Immer wieder hörte er von Erdogan, dass es nur an den hohen Zinsen läge, würden die gesenkt werden können, wären alle Probleme der Wirtschaft vom Tisch und die hohe Inflation wäre Geschichte.

Zur vollen Stunde waren im Radio die Nachrichten dran. Der Nachrichtensprecher war hörbar erregt, bei dem was er zu vermelden hatte. „Mit einer unerwarteten Entscheidung hat die Zentralbank der Türkei heute die Zinsen auf 1% herabgesetzt…“ weiter konnte er nicht mehr zuhören, denn das müsste die Rettung sein für ihn. Er suchte eine günstige Finanzierung und bekam unter 30% p.a. nichts angeboten. Jetzt, wo der Leitzins auf 1% herabgesetzt wurde, konnte er das Geld sicher von der Bank leihen. Jetzt müsste alles so kommen, wie die Regierung immer sagte. „Fallen die Zinsen, fällt die Inflation und alles wird gut.“

Er schrie laut „Ja, ja, ja!“ Er wusste nicht mehr, wohin mit seinen Gefühlen. Als er wieder klaren Gedanken fassen konnte, wechselte er sofort den Sender. Alle Sender berichteten nur darüber, dass die Zinsen auf 1% herabgesetzt wurden. Auf einmal erwischte er einen Sender, wo ein Professor die Entscheidung der Zentralbank kommentierte. Bei dem Sender blieb er dann hängen.

Der Professor sagte: „Das kann es nicht geben, das deckt sich nicht mit den Gegebenheiten der türkischen Wirtschaft. Wie kann man urplötzlich die Zinsen auf 1% herabsetzen? Das kann nur eine Katastrophe hinter sich ziehen, das haben wir auch schon früher erlebt.“

Unser Geschäftsmann dachte sich: „Was soll schon sein?“ und hörte dem Professor weiter zu. „In diesem Land beträgt die Inflation 20%, oder geben wir die letzte bekanntgegebene Zahl, dann sind es 15,7%, auf die letzten 12 Monate gerechnet. Wenn wir jetzt Zinsen auf 1% haben, können sich die Banken Gelder beschaffen nur, auf der anderen Seite müssen sie die Zinsen für die Spareinlagen ebenfalls herabsetzen. Was machen dann die Sparer, während die Inflation so hoch ist, die Lebensmittelpreise auf einem Allzeithoch sind? Würden sie zu 1-2% Sparzins ihre Gelder auf ihren Konten halten?“

Der Moderator fragt: „Herr Professor, was meinen Sie, wie sich die Sparer verhalten könnten?“

„Nicht könnten, sondern werden. Der Sparer wird in Panik geraten. Bei einer Inflationsrate von über 16% und Sparzinsen von 1-2% wird er sofort zur Bank rennen und versuchen sein Geld abzuheben.“

Unser Geschäftsmann fährt rechts ran, stellt den Motor ab und macht das Radio lauter. Er muss mitbekommen, was die folgen von Niedrigzinsen wären.

Der Professor sagt: „Wissen Sie, wenn heute die Sparer zu den Banken rennen würden, könnten die Banken nur 1 bis 2% der Sparer bedienen. Schauen Sie die neuesten herausgegebenen Zahlen der Zentralbank vom 28. Juni 2019 an. Bei den Banken sind Spareinlagen von 969 Milliarden TL vorhanden. Die Devisenkonten nicht dazu gezählt. Was glauben Sie, was die Banken an Barmitteln in der Kasse haben?

Moderator: „Das muss schon eine Menge sein!“

„Nein, ganz im Gegenteil. Die gesamt vorhandene Geldmenge ist nicht einmal so viel, wie die Spareinlagen der Bürger, wie sollten da die Banken über viel Geld verfügen? Die Banken hatten zum o.g. Termin 13,8 Milliarden TL in ihren Kassen. Das sind gerade mal 1,4% der Spareinlagen von 969 Milliarden TL. Die gesamte Geldmenge auf dem Markt beträgt 144 Milliarden TL. Circa 14 Mrd. TL davon haben die Banken und den Rest hat das Volk in der Tasche.“

Moderator: „Dann wäre das eine Katastrophe, wenn das Volk zum Geldabheben zur Bank rennen würde.“

„Das versuche ich die ganze Zeit zu erklären. Wie kann man so eine Entscheidung fällen, während die Inflation wie angenagelt auf der Stelle tritt? Wenn Sie Übernacht die Zinsen nicht auf 1%, schon auf 10% runterziehen würden, wäre das der Todesstoß für die Wirtschaft. Hoffen wir, dass es sich um eine Falschmeldung handelt mit dem 1% Zins. Sonst werden wir in den Chaos steuern.“

Moderator: „Herr Professor, was ist mit Gelddrucken?“

„Einige könnten glauben, dass das die Lösung sein könnte. Durch Gelddrucken kann das Geld des Sparers bezahlt werden. Dann muss man schauen, was passiert. Stellen Sie sich vor wir hätten auf dem Markt 10 Brote und 10 TL Bargeld. So würde also ein Stück Brot 1 TL auf dem Markt gleichkommen. Während weiterhin 10 Brote produziert werden, schmeißen Sie 200 TL auf den Markt. Somit stehen einem Brot 20 TL gegenüber. Die Folge wird eine dreistellige Inflation sein. Unter diesen Umständen wird zurecht niemand sein Geld zur Bank tragen. Was bleibt da übrig? Sie legen es in Devisen an. Was wird die Folge sein? Der USD oder Euro werden dann nicht einmal für 20 – 30 TL zu haben sein und das innerhalb 4-5 Tage.“

Unser Geschäftsmann war geknickt als er die Erwartungen, die Devisenkurse betreffend erfuhr. Er war ein Mittelständler und hatte 2 Mio. USD Devisenkredite am Laufen. Schon jetzt konnte er die nicht bedienen, aber wenn die Kurse so steigen würden, wie der Professor sagte und so würde es kommen, wäre er am Ende wahrscheinlich ein einfacher Arbeiter wie früher und alles wäre verloren.

„Die Banken werden innerhalb eines Monats in Investmentbanken umgewandelt!“ hieß es in einem anderen Rundfunksender. „Allah sein Dank, endlich eine gute Nachricht!“ sagt der Geschäftsmann, schließlich hatte er mit den normalen Banken keine guten Erfahrungen gemacht. Dabei vergaß er, dass die Investmentbanker schon einmal in den 80ern das Volk ausgenommen hatten.

Jetzt sprach ein ehemaliger Banker. „Ich glaube nicht, dass da viel überlegt wurde, als man solch eine Entscheidung traf.“ war sein Kommentar zum Thema.

Moderator: „Was wären die Folgen aus Ihrer Sicht?“

„Wo sollte ich anfangen? Der Sparer bekommt seit Jahren nicht einmal Zinsen in der Höhe der Inflation. Zehrt also vom Hauptgeld. Zumindest weiß er aber, was er an Zinsen bekommt bei einer Bank. Bei einer Investmentbank würde er nicht wissen, was er für sein Geld an Zinsen bekommt. Seinen Einsatz könnte er außerdem verlieren. Glauben Sie in so einer Situation bringt der Sparer sein Geld zu einer Investmentbank? Sollte der Sparer hören, dass seine Bank zu einer Investmentbank umgewandelt wird, so werden Schlangen an den Schaltern entstehen. Jeder wird versuchen sein Geld abzuheben. Die Wirtschaft und das Bankwesen würden einen großen Schaden nehmen.“

In dem anderen Radiosender sagte ein Insider: „Wie soll das mit den ausländischen Investoren dann klappen? Die kommen doch nicht wegen so niedriger Zinsen und legen ihr Geld unter großen Risiken in der Türkei an. Wie soll dann die Türkei an Devisen herankommen?“

Unser Geschäftsmann wollte endlich mal was anderes hören und wechselte vom Sender zu Sender, bis er wieder türkische Volksmusik hörte. Als der eine Titel zu Ende war, kam in den Nachrichten, dass die Zentralbank einen neuen Präsidenten hätte, weil der andere nicht bereit war die Zinsen zu senken. Er fasste sich am Kopf, Haare zum Raufen hatte er keine mehr. So stieg er aus und fing zu Laufen an. Ist er nicht irgendwann stehengeblieben, so läuft er heute noch.

ichmeinsgut.de: Eine Groteske* zwar, aber in der Türkei durchaus möglich und schon öfter passiert.

(*) Die Darstellung einer verzerrten Wirklichkeit, die auf paradox erscheinende Weise Grauenvolles, Missgestaltetes mit komischen Zügen verbindet.

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