Krise auf Eis – Die Haltbarkeit vom Tiefgefrorenem

Einmal Hingeschaut. Meine Kolumne im Tagesspiegel vom Dienstag 19. 02. 2019

Schon früh hat man die türkische Wirtschaft eingefroren. Oder besser gesagt: die Krise der türkischen Wirtschaft. Das Wort „Krise“ durfte man nicht in den Mund nehmen. Vor wenigen Jahren mussten sogar Minister gehen, weil sie es doch taten. Auch das Tiefgefrorene hat ein Haltbarkeitsdatum. Die Wahlen im Juni 2018 überstand Erdogan mit tiefgefrorener Krise. Zeitweilig hat irgendwer die Tiefkühltruhe vom Strom genommen. Es fing an aufzutauen. Abermals musste die Regierung Geld in die Wirtschaft pumpen. Nicht, damit die Unternehmen in ihre und in die türkische Zukunft investieren, nein – um den Augenblick zu retten. Alte Schulden mit frischem Geld strecken und mehr Schulden machen. Auch, wenn es nicht gut ist, Aufgetautes wieder einzufrieren. Leider, aus Sicht Erdogans, sind es noch anderthalb Monate bis zu den Kommunalwahlen. Wird die Tiefkühltruhe so lange funktionieren?

Sicher ist, dass nach dem zweiten Auftauen nicht mehr viel funktionieren wird. Schon 2018 haben 106.000 Unternehmen dichtgemacht. Die Arbeitslosigkeit steuert neue Rekorde an. Die Umfragewerte im Vorfeld der Kommunalwahlen sind entsprechend schlecht für die AKP. So wie schon vor den für ihn so entscheidenden Wahlen am 24. Juni 2018, wo er schlaflose Nächte hatte und am Tag vor laufenden Kameras einschlief.

Den Dreh mit der Wahlfälschung scheinen seine Leute rauszuhaben – und das so gut, dass er total cool durch die Gegend läuft. Seine Körpersprache sagt: „Wir können nicht verlieren.“ Es geht um die Metropolen, wie Istanbul, Izmir und Ankara. Verliert er sie, kann er sich unter normalen Umständen schwerlich an der Macht halten. Klar geht das mit dem Machterhalt in einem Polizeistaat. Aber wie wird das Volk reagieren? Gerade wurde vermeldet, dass die Wähler 200 Gramm Tee der besten Sorte nach Hause geliefert bekommen. Die Wählerstimmen werden immer günstiger, wie ihr merkt. Diese Art von Wahlgeschenken ist wie der gesamte Wahlkampf für die AKP kostenlos. Da die Türkei eine Art Demokratie ist, werden die Wahlkampfkosten vom Staat übernommen. Aber nur für eine Partei, die AKP. Da ist er wieder bei der Grundsteinlegung des Kulturzentrums im Fernsehen zu sehen. Jemand vergisst, das Mikrofon auszuschalten. Der Projektleiter sagt, dass kein Geld mehr da ist, es wäre ein Desaster. Die Krise wurde somit über die Lautsprecher verkündet. Wollen wir mal nicht so sein – tun wir so, als hätten wir es nicht gehört.

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