Tagesspiegel 02.09.18: Einmal hingeschaut | Was ich habe, behalte ich.

Die türkische Wirtschaft besteht größtenteils aus kleinen und mittelständischen Unternehmen. Egal, wie gut es läuft, es ist kaum eines darunter, das nicht von Finanzierungssorgen geplagt ist. Das Geld ist zumeist von Anfang an knapp. Schuldscheine werden von Hand zu Hand gereicht. Einer der Gründe dürfte das Fehlen eines Businessplanes sein. Sogar Startups fangen ohne jeglichen Plan an. Facebook wäre in der Türkei auf jeden Fall niemals entwickelt worden.

Irgendwann hat man gut verdient oder man glaubt, gut verdient zu haben. Doch dann müsste eigentlich Geld da sein. Also fragt man sich: Wo ist das Geld? Was haben wir falsch gemacht? Da ich für Beratungsleistungen Honorare kassiere, habe ich bisher kaum türkische Unternehmen beraten. Dennoch wurde ich in schwierigen Situationen kontaktiert, denn bis zu einem gewissen Punkt, hoffte mein Gegenüber, könnte man einem erfahrenen Mann Informationen entlocken, die das Unternehmen weiterbringen. Kostenlos! Ich frage mich: „Warum kontaktiert ihr denn mich, wenn kein Geld mehr da ist?“ Zuerst wird einem dann immer die Geschichte erzählt, wie man auf der Suche nach Krediten einem Betrüger auf dem Leim gegangen ist.

In einem Fall wurden lächerliche drei Millionen Euro gebraucht. Im Ausland soll es Geldgeber geben, die Schwarzgelder reinwaschen wollen und deshalb zinslose Kredite geben. Solche Gelder gibt es erstaunlicherweise immer im Ausland. Halte ich mich in Deutschland auf, gibt es diese Gelder im Ausland, genauso, wenn ich mich in der Schweiz, in der Türkei oder in Frankreich, aufhalte.

Gerade wollte ich einen Chef aufklären und sagen, dass das die Masche eines Betrügers ist, da sehe ich im Regal hinter ihm zwei Ordner, auf denen „Tapular“ (Grundbucheintragungen) steht. Dazu muss man wissen, dass eine Grundbucheintragung in der Türkei eine DIN-A4- Seite ausmacht. Die Ordner platzten aber beinahe. Ich fragte also: „Entschuldigen Sie, sehe ich richtig, dass die Ordner wirklich Grundbucheintragungen beinhalten?“ -„Ja, wir haben Grundstücke und Immobilien in Istanbul und Gaziantep“. Eigentlich ist das eine typische Konstellation in der Türkei. Alle haben die Lösung, wenn es um Finanzierungen geht, im Regal stehen – greifen aber nicht danach. Denn, was ich habe, das habe ich und gebe es nicht mehr her. Unter diesen Umständen, sagte ich, wo doch die Lösung direkt hinter ihnen steht, kann ich nicht helfen.

ARDener

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