Türkischer Unternehmer: “Was ich habe, gebe ich nicht her!”

Die türkische Wirtschaft besteht größtenteils aus lauter kleinst- und mittelständischen Unternehmen. Egal, wie gut es läuft, kaum einer dabei, den keine Finanzierungssorgen plagen.

Das Geld ist zumeist von Anfang an knapp. Der Grund dürfte das Fehlen eines Business- und Finanzplanes sein. Zuerst hat man die zündende Idee, was man machen möchte und schaut, wie viel Geld da ist. Das handle ich ein anderes Mal ab, zuerst die langebestehenden Unternehmen.

Irgendwann hat man gut verdient, oder glaubte gut verdient zu haben, denn dann müsste ja noch Geld da sein. Wo ist das Geld? Was haben wir falsch gemacht? Ich wurde gerufen und sollte für neue Finanzmittel sorgen. Da ich aus dem Ausland kam und alle glaubten, das Geld läge im Ausland auf der Straße, klopfte man immer wieder mal an. Kaum ein türkischer Unternehmer, der einem Kreditbetrüger nicht auf dem Leim gegangen war.

Die Masche war immer gleich. Der Kreditvermittler hört sich die Story an und sagt, dass er zinsloses Darlehen vermitteln würde. Der türkische Unternehmer sagt: „Ja, davon haben wir gehört, es sollen irgendwelche Schwarzgelder sein, die man als Kredite vergibt, damit sie reingewaschen werden.“

Dabei bräuchten diese Leute nur einmal im Kopf durchspielen, wie das denn überhaupt laufen sollte. Es geht nicht auf.

Egal, der Vermittler verlangt in der Regel einen Vorschuss, sagen wir mal zehntausend Euro. Der Unternehmer erzählt: „Wir haben schon schlechte Erfahrungen damit gemacht, wir möchten im voraus nichts bezahlen, aber dafür können sie mehr bekommen, wenn die Finanzierung durch ist.“ Der Vermittler macht schnell klar, dass Vorlaufkosten da wären, von denen er nicht einmal etwas sehen würde. Er selber würde auch davon leben, dass die Finanzierung durchgeht. Am Ende bekommt er seine sog. ‚Vorlaufkosten‘.

Unterlagen über Unterlagen werden verlangt. Dabei hat der Auftraggeber eine Vereinbarung unterschrieben, dass er alle verlangten Unterlagen liefern muss. Wie in der Türkei üblich, wird das fehlende oder nichtpassende passend gemacht. Da spielen fast alle Steuerberater mit, schließlich sind die Unterlagen ja für ein ausländisches Kreditinstitut, es tangiert die Türkei ja gar nicht, denken sie.

Dann die Erfolgsmeldung des Vermittlers aus London, die Finanzierung geht durch, die drei Millionen Euro sind in greifbarer Nähe. Der Betrag nicht, aber der Vermittler ist in der Nähe, er sitzt nämlich in Istanbul. Ein Skype-Telefonnummer mit Londoner Vorwahl tut es auch, dass der Gegenüber glaubt, er wäre in London.

Die Fax- und Telefonnummern programmiert man sowieso selber. Da ist aber noch ein Papier nötig. In der verschickten Bilanz müsste das Betriebsergebnis etwas besser ausfallen, ob der Steuerberater das regeln könne. Klar kann er das, was tut man nicht für drei Millionen Euro.

Die frisierten Zahlen sind da und schon sagt der Vermittler, dass deren Kurier diese heute noch abholen und nach London bringen würde. Einige Stunden später hat er auch die Papiere mit den gefälschten Zahlen abgeholt.

Der Vermittler ruft wieder an und fragt den Auftraggeber, dass ihm doch bewusst ist, dass man was Unrechtes tut, und ob er dennoch das Ganze durchziehen möchte. Die in Aussicht stehenden drei Millionen Euro wiegen schwerer als das Unrecht. „Weitermachen!“

Der Auftraggeber sitzt auf heißen Kohlen und fängt schon an, sich da und dort Geld zu leihen, denn die Millionen sind ja unterwegs.

Dann klingelt das Telefon. „Hören Sie Ali Bey, da gibt es ein Problem, die Bank hat Unregelmäßigkeiten in der Bilanz festgestellt, wir müssen den Mann schmieren, sonst scheitert die Sache“. „Wie viel?“ fragt der Auftraggeber. „Genau das habe ich ihn auch gefragt, er sagt zweihunderttausend Euro“. „Was, wie soll das gehen, in unserer Lage?“ „Es geht nicht anders, er kann die Verarbeitung nicht stoppen, entweder bekommt er den Betrag, oder Sie bekommen in zwei Tagen die Ablehnung.“

Das Geld wird organisiert. Klar kann man Bestechungsgelder nicht überweisen, also kommt der Kurier, extra aus London angeflogen.

Nach einigen Tagen kommt der Anruf. „Unser Mann ist ertappt und auch schon verhaftet worden, Ihr Steuerberater hat aber sehr schlampig gearbeitet, so dass alles sofort aufflog. Jetzt muss ich sehen, dass sie nicht in die Sache reingezogen werden. Weglaufen kann man nicht bei solch einem Delikt, das kann bis zu Interpol gelangen.“

Zum Glück hat der Vermittler all seine Beziehungen spielen lassen, dass der türkische Geschäftsmann so davonkam (Lach).

Es sind einige Monate vergangen. Jetzt sitze ich vor ihm. „Ahmet Bey, wir benötigen dringend zwei Millionen Euro und haben gehört, dass sie solche Beträge vermitteln.“ Ich sagte, dass das nicht stimme, ich würde mit anderen Lösungen kommen, wie z.B. die Waren verkaufen und über den Abnehmer sich finanzieren, dass er z.B. mehr als der tatsächliche Preis bezahlt und dann die letzte Lieferung um diese Beträge günstiger bekommt usw. Wir redeten um den heißen Brei herum. Tee, Tee, Kaffee, Gebäck…

Dann sehe ich hinter ihm im Regal zwei Ordner, auf denen „Tapular“ (Grundbucheintragungen) stand. Jetzt muss man wissen, dass eine Grundbucheintragung in der Türkei eine A4 Seite ausmacht. Die Ordner waren aber am Platzen. „Entschuldigen Sie, stimmt das, dass die Ordner wirklich Tapu’s beinhalten. „Ja, wir haben Grundstücke und Immobilien in Istanbul und Gaziantep“. Eigentlich eine typische Konstellation in der Türkei. Alle haben die Lösungen, wenn es um Finanzierungen geht, im Regal stehen, greifen aber nicht danach. „Was ich habe, gebe ich nicht her!“ lieber lassen sie die Unternehmen pleitegehen.

Ich sagte, dass ich unter diesen Umständen, wo doch die Lösung zum greifen nahe ist, nicht helfen kann.

 

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