Türkei: Bankgeheimnis 4.0

Ich wollte vor Jahren überhaupt das erste Mal von einem türkischen Konto Geld abheben. Ich sah den Automaten, der die Nummern herausgab, drückte drauf und bekam die Nummer 287. Das sah nicht gut aus, Morgens um 9:20 Uhr und dann so eine Nummer, dachte ich, konnte eine lange Wartezeit bedeuten.
Ich sollte auf die 1. Etage hoch gehen, dort wurden die Geschäftskunden betreut.

Siehe da, außer mir waren nur drei Personen anwesend. Also freute ich mich darauf, innerhalb weniger Minuten die Bank verlassen zu können.

Es kam anders. Die drei vor mir wurden aufgerufen und bedient, mittlerweile waren andere da, die auch allesamt der Reihe nach bedient wurden und gingen. Nach ca. 20 Minuten Wartezeit ging ich an den Schalter und fragte, warum ich den nicht dran kam, aber alle anderen bedient wurden.

Die Dame schaute auf meine 287er Nummernkarte und sagte: “Ach, Sie haben normal gezogen.” Wie, normal gezogen? “Wenn Sie ihre Kundenkarte zuerst in den Automaten einstecken, werden sie vom System eingestuft und bekommen eine entsprechende Nummer zugeteilt. Je nach Umsatz, den sie mit unserer Bank machen, oder wie oft Sie ihre Kreditkarte benutzen, alles spielt eine Rolle.”
Na dann gute Nacht, dachte ich mir. Ich hatte meine Kundenkarte nicht dabei. “Warten Sie ruhig noch ein wenig, sicher kommen sie gleich dran.” Das ‘gleich’, ein Unwort erster Güte. Wann gleich?
Also saß ich da. Ich beobachtete so ziemlich alles, was um mich herum geschah. Da erlebte ich live, welchen Stellenwert das Bankgeheimnis in der Türkei hat, ein weiteres Mal. Die eine Kundenbetreuerin rief zu der anderen, so das alle mithören konnten, die sich auf der Etage aufhielten:

“Dem Mustafa E. geben wir keine Autofinanzierung, dass du Bescheid weißt!”

“Meinst du Mustafa E., der in der so und so Straße wohnt?”

“Ja, genau der. Er ist Rentner und die Rente reicht nicht aus um die Raten zu bezahlen.”

So, dachte ich mir. Jetzt wusste ich schon mal, wo der Mustafa E. wohnte und dass er ein Rentner war. Dann ging das Gespräch zwischen den beiden Kundenbetreuerinnen weiter. Ihre Tische standen zwar gegenüber, nur hatten beide jeweils eine Milchglasscheibe vor sich, damit man nicht reinschauen kann. Hören konnte man aber dafür ganz gut, wie wir alle feststellten.
Dann kam die Top-Information überhaupt, wenn man denn die kriminelle Energie gehabt hätte:

“Ach soo, Mustafa E. war der Fahrer des Großindustriellen S.T. und hat ein Depot mit Wertpapieren in Höhe von 1,2 Mio. USD, die du auf dem Monitor nicht sehen kannst. Dem Kreditantrag kannst du ruhig stattgeben.” (Übrigens habe ich falsche Initialen des Großindustriellen benutzt, weil er auch der Eigentümer der Bank ist).

In der Zwischenzeit hob einer vor meinen Augen 400.000 EUR in bar ab und transportierte diesen in einer Einkaufstüte davon. Wie gesagt, etwas kriminelle Energie und schon hast du ausgesorgt, du musst nur einen halben Tag im Warteraum einer türkischen Bank verbringen und alles registrieren was um dich herum passiert.

Ich war ungemein erleichtert, dass Mustafa E. sein Kredit bekommen würde. Per Anruf wurde ihm dieses in meinem Beisein mitgeteilt. Sicher hat er sich gefreut auf der anderen Seite des Telefons.

Dann passierte etwas schier unglaubliches. Nach 70 Minuten dann ein “Bling!” und die 287 leuchtete auf. Ich schaute nochmals auf die zerknüllte Karte, ob ich denn tatsächlich die Nummer 287 hatte. Ja, war der Fall. Ich preschte vor zum Schalter. “Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, dass sie gleich drankommen würden.” sagte die nette Bankangestellte. Die sah so nett aus, dass ich ihr nicht mehr sagte, dass ihr ‘gleich’ gleich mal 40 Minuten dauerte.

“Womit kann ich Ihnen behilflich sein?” fragte sie. In diesem Moment spürte ich Wärme an meinem linken Arm. Der einzige wartende im Raum, suchte und fand Anlehnung an mir. Ein etwa 50 jähriger, unrasierter Typ in einem nach Zigarettenrauch riechenden Anzug. Brauner Anzug mit grauen Streifen.

Nochmals die Situation. Von 5 Schaltern waren nur zwei geöffnet, nur zwei wartende und diese Schulter an Schulter am einen der Schalter.
“Wir wollen von unserem gemeinsamen Konto Geld abheben.” sagte ich und zeigte dabei auf dem Nebenmann, der immer noch mit seinem Schulter an mir klebte.

“Wieso gemeinsames Konto, wir haben doch kein gemeinsames Konto!” sagte er verdutzt. “Sie tun aber so, als ob wir eines hätten.” sagte ich.
“Hören Sie, warum kleben Sie an mir und beobachten was ich tue. Das ist etwas persönliches, gehen sie doch nach hinten bitte.”

Meine Worte zeigten Wirkung. Der Mann ging tatsächlich die zwei Zentimeter nach links, so dass sich unsere Schultern lösten. Das Geld, was ich abhob, zählte er aber noch mit. Als Bestätigung gab er nach dem Zählen ein “Stimmt!” von sich.

So ist das mit den türkischen Banken. Beispiele gibt es zuhauf. Einmal stand ich vor einem Geldautomaten in der Schlange. Es ging auf die Feiertage zu. In solchen Momenten überkommt dem Türken das Gefühl, dass alles knapper werden könnte, auch das Geld im Automaten. So standen wir in einer sehr langen Schlange. Als vor mir noch zwei Personen waren und die erste, eine ältere Dame, auf den Automaten zuging und Geld abhob, sagte der Mann hinter ihr: “Liebe Frau, Sie haben so lange gewartet, warum heben Sie nur 100 Lira ab, wir haben 4 Feiertage in Folge, das dürfte nicht reichen.” Sicher wusste er auch ihren PIN, so genau hatte er die Handlung der Dame beobachtet.

Es geht noch weiter. Einige Tanten unterhalten sich. Die eine sagt dann; “Weißt du, die Tochter von Selma wird sich verloben mit einem Mann aus unserer Straße, den wir nur vom Sehen kennen.”

“Hoffentlich hat er Geld. Weißt du, was er oder der Vater macht?”

Jetzt kommt das wieder mit dem Bankgeheimnis. “Die Selma ist vorsichtig. Sie kennt die Filialleiterin der Bank, wo die Familie ihre Konten hat gut und hat über den Zukünftigen Informationen eingeholt. Leider berief die Filialleiterin sich auf das Bankgeheimnis und sagte lediglich, dass der Junge ein Autokredit von über 50.000 TL hat und auch kein eigenes Geld verdient.”

Wie schön, dass es den Bankgeheimnis gibt in der Türkei, dachte ich mir.

Auch eine Dienstleistung, welches in der Türkei angeboten wird. Ältere Menschen, oder denen die mit dem Geldautomaten sich nicht so gut auskennen, stehen Dienstleister bei und helfen denen beim Geld abheben. Nennen wir sie PIN-Eintipper. Das sind zumeist herzensgute Menschen. 😉

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