Teil V: Jetzt, hier+dort und heute – aber was ist mit „morgen“?

Deutschland – Türkiye – Türkei – Almanya

Teil V: Jetzt, hier+dort und heute – aber was ist mit „morgen“?

Endlose EU Beitrittsgespräche ohne erkennbare Fortschritte. Vermeintliche Unterstützung des PKK-Terrors durch den „Westen“ und eher halbherziges Verurteilen dessen. Ständig neue Anforderungen an die EU-Mitgliedschaft, der Zypern-Konflikt ständige Reformen der Gesetze.
So, und noch bunter ist das Bild das sich in den Köpfen vieler Deutsch-Türken und Türken in Deutschland manifestiert. Ein, “Man will uns nicht” – bleibt am Ende stehen.
Es herrscht die Meinung, dass die Türkei zu oft vor neuen Hürden gestellt wird. Ebenso umfangreich ist aber auch die Unkenntnis der Türken und Türkischstämmigen in Deutschland über den Stand der Beitrittsgespräche.
Ankara spielt dabei gerne beide gegeneinander aus und versucht innenpolitischen Druck auf Deutschland auszuüben um dringende Erfordernisse nicht erfüllen zu müssen. Erst ein Kapitel der Beitrittsgespräche ist geschlossen worden.
Unklar ist zumeist an wem es scheitert.
Ausschlaggebend für das innere Gefühlsleben ist aber, vor allem die fehlende Anerkennung durch jahrzehntelanges ignorieren durch die deutsche Innenpolitik und fehlende Anreize und Möglichkeiten der Übernahme der Deutschen Staatsangehörigkeit und dadurch fehlende politische Partizipation, in einer Gesellschaft die seit 1961 mitgestaltet wird.
Sie sind die Haupttreiber und nunmehr Taktgeber des tief sitzenden Frusts bei Türken und Türkischstämmigen in Deutschland.

Ausgerechnet aus der 2.Heimat Deutschland, kommt immer wieder die privilegierte EU-Partnerschaft zur Sprache. Vollmitgliedschaften wie bei Rumänien oder Bulgarien werden offen und konsequent ausgeschlossen. Im Wahlkampf – besonders bei Konservativen, sind die Probleme der Einwanderer und Nachkommen ein beliebtes Zugpferd um Wählerstimmen zu bekommen. Hier wird gerne Kante und Härte demonstriert.
Was macht uns „schlechter“ als Bulgaren und Rumänen – fragen sich nicht wenige Türken, auch aufgrund des sich wandelnden Stadtbildes.

Wieso dürfen Iraner, Syrer und Marokkaner schon immer eine Doppelpass haben aber nicht wir Türken ist die Frage die viele beschäftigt und von vielen Politikern in Deutschland einfach negiert wird. Bis heute!
Türkische Einwanderer die seit 55 Jahren in Deutschland leben, können nicht mal den Bezirksbürgermeister ihrer Kommune wählen.

Auch die lieblosen Reformen des Staatsbürgerrechtes – die viel zu spät kommen – vermögen nicht mehr die Sichtweise signifikant zu ändern.
Jetzt allerdings scheint der Zug nicht nur abgefahren sondern für viele nicht mehr reizvoll zu sein. Sehen sie doch schon längst die Machthaber in Ankara als legitime „Vertreter“ ihrer Interessen – nachdem man über 55 Jahre von allen deutschen Institutionen am liebsten übersehen worden ist.

Einer Heimat wo die BILD-Zeitung und dem Springer-Konzern ein Meinungsmonopol einnimmt und allzu gern vor allem gegen Türken wettert, kehrt man immer konsequenter den Rücken. Plötzlich fühlen sich einige auf einmal aus Ankara erhört.

Rechtsterrorismus in Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen und in seiner Spitze eine ohne staatlichen Widerstand mordende NSU-Bande. Acht von 10 Toten sind Türken.
Jeder einzelne Prozesstag mit Beate Zschäpe kostet den deutschen (ganz gleich ob Staatsangehöriger oder Bewohner) Steuerzahler 150.000 Euro. Es wird seit 3 Jahren verhandelt und hat bisher 45 Millionen Euro gekostet. Ergebnis gleich NULL!

In München tötet ein Neo-Nazi 9 Menschen, 7 davon sind Muslime (vier Türken). Der Staat trauert bei einem christlichen Gottesdienst um die Toten.
Die türkische Community schlägt Alarm – nur hören will sie keiner – fast.
„Jetzt“ haut in manchen Augen türkischer Mitbürger in Deutschland, da mal endlich jemand auf den Putz.

Ankara is calling und das unüberhörbar.

Immer mehr, immer häufiger und immer extensiver. Plötzlich dürfen Menschen zum ersten Mal seit 55 Jahren wählen gehen. In Deutschland für die Türkei – was für eine „Ironie“.

Währenddessen ändert man das Wahlverfahren des ESC (European Song Contest) wieder, weil Türken aus ganz Europa fleißig für ihr ehemaliges Heimatland anrufen. Es gewinnt sogar – die Türkei! Dann aber nimmt man den Wettbewerb aus dem „Staats-Programm“.

Es klingt „mächtig“ was über die türkischen „Heimatsender“ und den fulminant inszenierten großen Eventhallen in Deutschland verkündet wird.
Für viele ist es Anerkennung was von dort kommt, für viele ein Anker und ein Beschützer ihrer Existenz. Jemand der sie versteht und ernst nimmt – zumindest dem Vernehmen nach.

Zu vielen Türken imponiert es.

Deutschland nimmt all dieses „Gehabe“ nicht ernst und ist etwas verwirrt, negiert es aber konsequent. Wie auch allzu oft in der Vergangenheit, diesmal folgen aber weitere Konsequenzen.

Man bleibt lethargisch. Zwar „schaffen“ es 11 Deutsch-Türken in den Bundestag mit 631 Abgeordneten und sind oft für Intergrationsfragen „zuständig“ – doch das schwierige Klima vermögen sie nicht zu ändern.

In erster Linie müssen sich deutsche Politiker fragen, was passiert ist, dass 20- bis 30.000 Demonstranten für einen „ausländischen“ Präsidenten auf die Straße gehen? Das Busse aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden organisiert werden um Präsenz zu zeigen?

Welche Dynamik und Wille dahintersteht – welcher Aufwand dort betrieben wird. Warum wird das nicht für Deutschland eingesetzt, müssten sich die meisten spätestens jetzt Fragen!

Nein – man ergötzt sich im „herunterspielen“ dieses Aktes. Weder Merkel, noch Gabriel werden diese Zahlen bei Wahlkampfauftritten je erreichen können. Eine Auseinandersetzung mit dem Politikverdruss (nicht nur von Ausländern) in Deutschland bleibt jedoch erneut aus. Die Umfragewerte der etablierten Parteien fallen weiter.

Während das politische Ankara augenscheinlich viele ihrer Anhänger, selbst in Deutschland auf die Straße rufen kann, ist das politische Engagement in Deutschland signifikant rückläufig.

Ironischerweise ist es die rechtspopulistische AfD, die derzeitig die Bürger in Deutschland zu mobilisieren vermag.
Man beobachtet einen Stimmenzuwachs für sie, mit steigenden Wählerzahlen. Bereits jetzt sind 15% der Wahlberechtigten bereit die neue Rechte in Deutschland zu wählen.
Ein Schlag ins Gesicht für jeden Bürger in Deutschland mit nichtdeutschen Wurzeln und humanistischem Selbstverständnis mit liberaler und sozialer Akzentuierung.

Und dennoch – bei 4-5 Millionen Deutsch-Türken und Türken im Land ist die Anzahl der Protestierer zu gering als das man von einem überragenden Zuspruch für die Politik Ankara’s sprechen kann.
Holen jetzt die Fehler der Vergangenheit eine Bundesrepublik wieder ein, zu einem Zeitpunkt indem man insbesondere in der Innenpolitik vor großen Herausforderungen steht?

Man greift wieder verzweifelt zum unsäglichen Thema der Doppelten Staatsbürgerschaft, die angesichts der Anzahl anderer betroffenen nie fallen wird.

Einen US-Amerikaner wird man nicht vor diese Wahl stellen – einen EU Europäer auch nicht! Eine Sonderregelung für „abtrünnige“ Türken etwa? Was kommt deutschen Bürgern in den Sinn, wenn ein Südtiroler sowohl den italienischen Ministerpräsidenten als auch die/den deutsche(n) KanzlerIn wählen kann?

Euphorie und Enthusiasmus – jahrhundertelang Wegbelegleiter türkischer Kultur und Personality werden nun zum Treiber einer Entwicklung, dass selten genug in Deutschland positiven Widerhall findet.
Deutschland hat nur begrenzt von diesen Fähigkeiten schöpfen können. Das Humanpotential wurde nie effektiv eingesetzt. Vor allem aber das sich zurechtfinden zwischen zwei völlig unterschiedlichen Kulturen, als unglaublich wertvolles Pfund zu sehen – bleibt den meisten Deutschen fremd.

Türken sind nur selten in Positionen vorgedrungen, die dieses Potential in ihrer vollen Fülle haben nutzen können.
Unter sich geblieben, war das normal – in der deutschen Community wurde das oft genug belächelt.

Heute sehnt sich die deutsche Gesellschaft nach Antreibern und nie ruhenden Kräften die mit Fantasie und grenzüberschreitenden Kulturfähigkeiten die bunte Gesellschaft ins 21.Jahrhundert führen.
Pessimismus, Zukunftsangst und Frust scheinen die Seelen der Republik in der Zwangsjacke des im Ausland oft verwendeten Terminus der „German Angst“ gefangen zu haben. Die Schere zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten driftet eklatant auseinander – nicht nur fiskalisch.

Der Druck nimmt weiter zu. Lösungen sind nicht in Sicht.

Quo vadis Deutschland müsste es heißen – anstelle das Sommerloch mit immer neuen Abstrusitäten aus Ankara zu füllen.
Deutsch-Türken kennen die Nachrichten aus dem Land nur zu gut und sind froh Tage ohne Diskussionen zur Lage am Bosporus für das sie in überwältigender Mehrheit nichts können zu erleben.

Es macht mürbe und zerstört Hoffnungen. Gerade jetzt ein Zustand den wir in Deutschland überhaupt nicht gebrauchen können.

dİ.e Q.olumne®by Kemal Kilic@WhenWeWereFriends
Photo: “Die Welt” (29.06.2016) Brandenburger Tor in Berlin

Teil I- IV wurden ebenfalls auf diesem Blog veröffentlicht.

Foto: Die Welt

 

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