Ein Fußballspiel formte mich entscheidend

ben1Es war ein Samstag. Damals gab es auch an Samstagen Schule in der Türkei. Ca. 14 Uhr war ich zuhause. Es regnete nur so in Strömen in Istanbul-Nisantasi.  Ich legte meine Tasche ab, aß eine Kleinigkeit und verschwand unter dem Vorwand, zum Kiosk zu gehen.

Dabei wollte ich ganz woanders hin, nämlich zu einem Spiel von Galatasaray. Die Mannschaft spielte gegen Altinordu damals eine Top-Manschaft (derzeit 2. oder 3. Liga).  Ich ging zu Fuß, weil ich nicht wusste, ob mein Geld für die Eintrittskarte ausreichen würde. Es war ein Marsch von ca. einer Stunde. Das Geld reichte. Es damals noch Stehplätze in den Stadien. Überdacht und offen, waren die anderen Alternativen. Natürlich offen und Stehplatz. So hatte ich sogar Geld über.

Bis zum Spiel waren noch ca. 2,5 Stunden Zeit. Anfang 70er Jahre gab es schon mal zwei Spiele hintereinander. Zuerst ein Zweitligaspiel und dann die 1. Liga. Die Grasnarbe existierte bei dem Regen schon nicht mehr. Auch mussten die Linien für das 1. Ligaspiel neu gezogen werden. Das alte Ali Sami Yen Stadion fasste damals, durch die vielen Stehplätze bedingt, fast 50.000 Zuschauer. An diesem Tag werden es 40.000 gewesen sein.

Während ich Euch die Geschehnisse im Stadion erzähle, war bei uns Zuhause der Panik ausgebrochen. Der Kiosk war direkt nebenan und ich war schon über eine Stunde weg und sollte noch 4 Stunden wegbleiben.

Alle Verwandten wurden angerufen. Warum die angerufen wurden, weiß ich nicht, zumal außer uns keiner von denen auf der europäischen Seite wohnte und die Bosporus-Brücke erst in 3 Jahren gebaut werden sollte. Danach rief man bei meinen Klassenkameraden an. Ohannes, mein bester Freund, der mit Sicherheit gewusst hätte, wo ich war, konnte ebenfalls nicht erreicht werden. Er saß nämlich neben mir im Stadion. Auch bei ihm zuhause spielte sich ähnliches ab. Eins und eins macht 2, nur wo waren die Jungs ? 11 Jahre alt aus gut behütetem Hause, das durfte nicht sein. Passte nicht ins Bild.

Für uns war es ein tolles Spiel. Galatasaray gewann 4:2 glaube ich. Anschließend machten wir uns auf dem Heimweg. Der Regen hatte nie aufgehört aber störte uns auch nicht. Schließlich hatten wir schon seit fast 5 Stunden keine trockene Stelle mehr am Körper.

Zuhause angekommen, zuerst große Erleichterung und dann großes Erstaunen bei den Eltern. „Wie, ihr wart beim Fußballspiel ?“ Als ich mit Schimpfe rechnete, passierte genau das Gegenteil.

A hero was born !

Telefonate mit allen Verwandten, die ganze Nacht lang. „Weißt du, wo der Ahmet war und das ganz allein ?“ „Nein, das gibt es nicht, ganz allein ?“ Meinen Freund Ohannes dachte man einfach weg, denn dann wäre es evtl. nicht so besonders gewesen. Zwei Jungs, das wäre locker gegangen.

Das war der Tag, wie es sich später herausstellen sollte, der mir mein Leben lang zum Verhängnis wurde. Immer, wenn etwas zu erledigen war, hieß es : „Lass denn Ahmet machen, der kann das.“ Als wir dann später in Deutschland waren, ging das Spiel genauso weiter. Vater, Mutter, Brüder… egal wer beim Amt oder beim türkischen Generalkonsulat etwas zu erledigen hatte : „Lass doch den Ahmet machen, der kann das“. Das alles wegen einem Fußballspiel ? Ja, leider ! Im Nachhinein betrachtet, hätte ich gerne auf das Spiel verzichtet.

Übrigens, wenn es beim Amt etwas zu erledigen war, bauten sich bei unserem Vater und meinen Brüdern eine Art Angstzustand auf. Schließlich hatten sie ein Amt bzw. diese Gebäude nie von innen gesehen.

Womöglich kommt es aus all diesen Erfahrungen, dass ich immer einen praktischen Weg parat hatte und habe, egal worum es ging. Ich entwickelte meine Techniken aus dem Stand und war jedes Mal stolz, wenn diese zur Anwendung kamen und erfolgreich waren.

Am Bierstand auf dem Rummelplatz. Um den Bierstand herum 6-7 Reihen mit Menschen, rundherum. Ich stehe in der 8. Reihe und rufe : „Sie haben bei mir noch nicht kassiert“. Wenn es ums Kassieren geht, werden die an der Theke sofort hellhörig. „Wer hat noch nicht bezahlt ?“ – „Ich, 4 Bier müssen Sie abhalten.“ Der Köbes (wir waren in Köln) gab mir das Restgeld. In diesem Moment sagte ich „Ich habe zwar bezahlt, aber nichts bekommen !“. „Ohh, Entschuldigung, ich dachte Sie hätten schon.“  😉

Als ich anfänglich noch keine Rennpferde hatte, war ich auf der Rennbahn immer da, wo was los war. Dorthin kam man aber nur mit einem speziellem Ausweis oder Gesicht eines VIP’s rein. Dafür hatte ich Ersatz. Meinen Anzug und den selbstsicheren Gang. Auf der Höhe des Ordners mein Blick zu ihm gerichtet, in die Augen schauend und mit einem freundlichen Lächeln : „Wie geht es Ihnen ?“ Welcher Ordner traut sich, so einen anzuhalten und nach Legitimation zu fragen ?  Zumeist sprach ich auch mit meinem Nebenan, denn ich zwar nicht kannte, aber freundlich begegnete. Dass ein Lächeln, bei mir ein Gemütszustand, der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist, beweise ich eigentlich Zeit meines Lebens, immer wieder.  Nur das eine Spiel damals, hängt mir immer noch nach. 😉

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