Türkei – Zinserhöhung, die hoffentlich nicht zu späte Einsicht

eurosMit fehlendem Erfolg hat die türkische Zentralbank seit Mitte Juni am Devisenmarkt gegen den steten Sinkflug der Lira interveniert. Nun wird endlich erkannt, dass zur Verhinderung einer Kapitalflucht kein Weg an Zinserhöhungen vorbeiführt.
Die türkische Wirtschaft ist in den vergangenen eineinhalb Monaten arg unter die Räder geraten. Wie die meisten Schwellenmärkte leidet das Land zum einen unter der vage angedeuteten Korrektur der extrem expansiven Geldpolitik in den USA, zumal das viele Gratisgeld bisher nicht zuletzt auch in Richtung Bosporus floss. Zum andern hat der Konflikt rund um den Gezi-Park und die Konfrontationspolitik von Regierungschef Erdogan zu einer Wiederentdeckung des politischen Risikos geführt, nach einer für die Türkei ungewohnt langen Phase politischer Stabilität. Bemerkbar machten sich diese beiden Faktoren jüngst in einer markanten Abschwächung der türkischen Lira und in einem Höhenflug der Renditen auf türkischen Staatsanleihen.Vergeudung knapper Reserven

Sorgen bereitet der Zentralbank in erster Linie die kränkelnde Lira. Diese ist gegenüber dem Dollar auf ein Rekordtief gefallen und hat seit Anfang Jahr gegen 9% an Wert verloren. Der potenzielle Schaden ist beträchtlich: So kämpft die Türkei seit Jahren mit einer tiefroten Handels- und Leistungsbilanz. Über die Abschwächung der Heimwährung verteuern sich nun die Einfuhren zusätzlich, wobei die Inflation im Juni mit 8,3% bereits das höchste Niveau seit neun Monaten erreicht hat. Die schwache Lira, die steigende Inflation und das anhaltend hohe Kreditwachstum verschärfen zudem das aussenwirtschaftliche Ungleichgewicht, das sich in einem Anstieg des Leistungsbilanzdefizits um 22% in den Monaten Januar bis Mai spiegelt.

Die Antwort auf diese Rahmendaten wäre eigentlich naheliegend, nämlich eine Zinserhöhung. Die türkische Zentralbank schlug bisher aber einen anderen Weg ein. Sie hat die Schwindsucht der Lira mit direkten Interventionen am Devisenmarkt zu bekämpfen versucht. Zu diesem Zweck warf die Währungsbehörde seit dem 11. Juni 6,4 Mrd. $ auf den Markt. Eine Trendumkehr konnte dieses viele Geld aber nicht bewirken. Die einzige konkrete Folge ist das rasche Schmelzen der ohnehin nicht allzu üppig dotierten Devisenreserven; so sind diese Reserven laut Schätzungen unabhängiger Ökonomen schon unter 40 Mrd. $ gesunken; allzu lange lassen sich die Devisenmarktinterventionen also nicht aufrechterhalten.

Anfang dieser Woche hat die Zentralbank erstmals indirekt ihr Scheitern eingestanden. In einem aussergewöhnlichen Schritt bereitet sie den Markt in einer schriftlichen Stellungnahme nun auf das nächste Treffen des geldpolitischen Rates vom 23. Juli vor. Darin wird festgehalten, dass an diesem Treffen auch eine Ausweitung des Zinskorridors auf die Traktandenliste gesetzt werde. Diese verbale Intervention kann nur dahingehend interpretiert werden, dass endlich auch die Zentralbank das Unabwendbare einsieht und eine Zinserhöhung ins Auge fasst. Die Reaktionen des Marktes legen dabei den Schluss nahe, dass nicht mit einer homöopathischen Dosis gerechnet wird, sondern mit einer Erhöhung der oberen Grenze des Zinsbandes – sie liegt derzeit bei 6,5% – um bis zu 100 Basispunkte.

Erdogans abstruse Theorien
Die Ankündigung der Notenbank ist nicht nur makroökonomisch, sondern auch innenpolitisch bedeutsam. So emanzipiert sich die Bank mit ihrem Schritt zumindest teilweise von Erdogan. Dieser hatte in den vergangenen Wochen wiederholt seine Verschwörungstheorie unter die Leute gebracht, wonach eine klandestine «Zinslobby» die Türkei durch eine Erhöhung der Geldmarktsätze in die Knie zu zwingen versuche. Das Zögern der Zentralbank, auf den Sinkflug der Lira endlich mit der naheliegendsten Rezeptur zu reagieren, liess bisweilen den Verdacht aufkommen, dass die Währungshüter beim Thema Zinserhöhung vorab den Groll Erdogans fürchten; dem frommen Muslim gelten Zinsen nämlich seit je als eher suspektes Instrument.

Der Glaubwürdigkeit der Zentralbank und der makroökonomischen Stabilität der Türkei wäre eine rasche Zinserhöhung – die erste seit Oktober 2011 – denn auch dienlich. Zwar haben ausländische Investoren bisher erst einen vergleichsweise kleinen Teil ihrer in den vergangenen Jahren in die Türkei transferierten Gelder wieder aus dem Land abgezogen. Durch die jüngste Schwäche der Lira haben die Investitionen in lokalen Aktien und Anleihen aber bereits stark an Wert verloren, so dass ein unkontrollierbarer Abfluss ausländischer Anlagen als durchaus reale Gefahr erscheint. Mit Blick auf das türkische Leistungsbilanzdefizit, das seit Jahren primär durch kurzfristige Portfolioinvestitionen finanziert wird, käme dies einer Bruchlandung der Türkei gleich.

 http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/spaete-einsicht-in-der-tuerkei-1.18117854

 

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