Türkische Taxifahrer lieben Klassik

taxifotodpaVielleicht wäre das mal eine wissenschaftliche Analyse wert, aber fürs Erste soll diese Beobachtung genügen: Türkische Taxifahrer hören häufiger klassische Musik im Autoradio als ihre deutschen Kollegen.

Das ist jedenfalls meine feste Überzeugung. Ich hatte in den letzten drei Wochen vier Taxifahrer, die erkennbar nicht aus Deutschland stammten und Klassiksender eingestellt hatten. Und gestern habe ich endlich einen angesprochen und gefragt, warum das so ist.

Dabei hatte ich tatsächlich ganz kurz Hemmungen, das Wort “ausländisch” vorzutragen, weil wir ja ständig mit der Super-Vokabel “Migrationshintergrund” geimpft werden. “Sie als Migrant…” oder “Welchen Migrationshintergrund haben Sie?” – man fängt doch so kein Gespräch an. Aber einfach “türkisch” sagen ging auch nicht, er hätte ja Kurde sein können, und dann wäre möglicherweise die Stimmung gleich in den Keller gesunken.

Klassik ist so schön entspannend

Nach drei Sekunden wagte ich also, von meinen Beobachtungen mit ausländischen Taxifahrern zu sprechen, und der Mann (aus Anatolien) erzählte gern von seinem Beruf und der Liebe zur Musik.

Wenn er acht Stunden am Tag in der Stadt fahre, sei das so anstrengend und stressig, dass er dieses “Bumm-Bumm-Bumm” moderner Popmusik nicht brauche. Klassik dagegen entspanne ihn, und die Melodien seien so schön – obwohl sie schon Jahrhunderte alt seien.

Genau mein Reden. Ich besitze ungefähr 1000 Pop-CDs, aber ich höre sie immer seltener. Neulich bin ich mal vier Stunden Auto gefahren und habe meinen iPod angeschlossen – Zufallswiedergabe. Was für schreckliche Songs kamen da zum Teil aus den Lautsprechern. Ich wunderte mich, dass ich dafür mal Geld ausgegeben haben soll.

Vielleicht liegt es am Alter, aber meine Klassiksammlung wächst. Nur im Auto höre ich die CDs nicht, weil die ganz leisen Passagen (für alle Pop-Freunde: Es gibt wirklich einen Unterschied zwischen laut und leise), weil also die ganz leisen Passagen in den Fahrgeräuschen untergehen. Dann dreht man vielleicht die Lautstärke hoch, und wenn das Orchester plötzlich wieder aufdreht (in der Klassik weiß man nie so genau, wann das passiert), vibrieren alle Fensterscheiben.

An der Ampel spielte er auf der Baglama

Ja, dieses Phänomen kannte mein Taxifahrer auch, aber er habe sich daran gewöhnt, Klassik in dezenter Lautstärke zu hören. So sei zwar nicht jedes Pianissimo ungestört zu erleben. Aber das sei immer noch besser als Bumm-Bumm-Bumm.

Dann fiel mir ein Instrument auf dem Beifahrersitz auf. Eine Art Laute, mit sieben Saiten. Baglama heiße das gute Stück, erklärte der Taxifahrer, und an einer roten Ampel spielte er mir ein paar Töne vor.

Er hatte auch ein Notenbuch dabei, und er erzählte mir, dass er immer übe, wenn er auf auf Fahrgäste warte. Früher sei er auch mit anderen Musikern auf Hochzeiten aufgetreten, nun aber musiziere er nur noch mit den Kindern, die Gitarre und Keyboard spielten. Mit der Musik bleibe man im Gespräch zwischen den Generationen, und man könne etwas teilen.

Das war eine sehr angenehme Fahrt zum Flughafen für mich, kein “Bumm-Bumm-Bumm”, sondern ein Gespräch über echte Musik. Und was mir noch auffiel: Im Gegensatz zu neun von zehn anderen Berliner Taxifahrern war der tiefenentspannte Musikliebhaber nicht gerast. Und trotzdem pünktlich ans Ziel gekommen – es lebe die Klassik!

Quelle 

Foto : dpa

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