Türkei – Schwellenland auf der Überholspur

An wenigen Finanzplätzen feiern die Bullen so ausgelassen wie an der Börse am Bosporus. Woran das liegt und wie Anleger davon profitieren können.
Abseits der Touristenzentren und der großen Städte wirkt die Türkei vielfach noch genauso wie 1922. Damals amtierte der letzte osmanische Sultan, Mehmed VI. In den Metropolen von 2012 dagegen prägen immer häufiger Menschen wie Ceza das Bild. Der Musiker nahm sich den von Wolfgang Amadeus Mozart komponierten „Türkischen Marsch“ vor, mischte den Klassiker mit zeitgemäßer Rap-Musik, selbstredend mit türkischem Zungenschlag, und Okzident und Orient hatten sich gesucht und gefunden.
Die Türkei kommt mit Riesenschritten
Was das Land zwischen Europa und Asien in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt hat, ist aller Ehren wert. Das lesen Börsianer schon am am ISE-100-Index ab, der seit 2002 um mehr als 400 Prozent kletterte. Vor Kurzem erreichte er gar ein Allzeithoch. Zum Vergleich: Der Dax schlängelt sich um die Nulllinie. Das heißt wohl: Am Bosporus regiert der Überschwang, hierzulande spielt einem das Alter Streiche.
Schwellenland auf der Überholspur: Türkische Wirtschaft wächst weiter im Rekordtempo. Das kommt nicht von ungefähr: Von knapp 80 Millionen Einwohnern der Türkei weiß das CIA-World-Factbook, die im Schnitt noch nicht einmal 29 Jahre alt sind. In Deutschland leben gut 81 Millionen Menschen, die ihren 45. Geburtstag häufig bereits hinter sich gelassen haben. In puncto Quirligkeit und Schnelligkeit ist die Türkei damit von europäischen Staaten kaum zu schlagen.
1994 war Istanbul nahezu pleite, heute zieht die RatingAgentur Fitch ihren Hut. Zum ersten Mal seit 18 Jahren erhielt Istanbul wieder das begehrte Investment-Grade-Rating. Ramschanleihen gehören damit der Vergangenheit an, und die Begründung geht den Herrschenden in Ankara runter wie Öl: „Die Türkei ist auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wachstum“, heißt es bei Fitch und: „Das Leistungsbilanzdefizit wurde reduziert und die Inflation gedämpft.“ Die Analystin Aurelija Augulyte von der Nordea Bank konstatiert: „Die Türkei hat gezeigt, dass sie mit den Herausforderungen, die sie hat, manövrieren kann.“ Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Ali Babacan meldete denn auch stolz Vollzug: „Das ist der Beginn einer neuen Ära für den Zugang unseres öffentlichen und privaten Sektors zu den internationalen Kapitalmärkten.“
Wachsende Begehrlichkeiten
Die türkischen Anleihen setzten zum Spurt an. Im Kurs stiegen sie deutlich. Die Rendite der zehnjährigen Bonds aus Istanbul fiel auf nunmehr unter acht Prozent. Solche Niveaus mit der Aussicht auf weitere Kursgewinne locken die Investoren. Sinkende Zinsen verringern allerdings auch die Kreditkosten von Staat, Unternehmen und Privaten in der Türkei. Sie sind also mehr als erwünscht. Denn gerade viele private Haushalte und kleine Unternehmen sitzen auf hohen Schulden. Das lässt die Angst vor dem Platzen einer Immobilienblase nicht geringer werden. Auf der anderen Seite: Der Schuldenstand der öffentlichen Hand in der Türkei betrug 2011 nur 39,9 Prozent – gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Das ist gut, und das ist weit besser als in Euro-Land….
Bei den internationalen Investoren überwog in den vergangenen Wochen die Zuversicht. Das ist nicht nur am Aktien- und Zinsmarkt abzulesen, sondern auch auf der Devisenseite. Die türkische Lira profitiert von der neuen positiven Einschätzung seitens der Rating-Agenturen und der Analysten. Sowohl zum Euro als auch zum US-Dollar machte sie Boden gut. Dass die Risikobarometer in Gestalt der türkischen Credit Default Swaps kein bedeutendes Problem erkennen wollten, zeigt nur den guten Riecher der Akteure in diesem Marktsegment . Da traf es die Italiener und Spanier heftiger. Bei diesen Euro-Land-Staaten wittern die Marktteilnehmer offenbar größere Schwierigkeiten als in der Türkei.
Die zwei Seiten der Medaille
Das passt zum Gesamtbild. Während man in den OECD-Ländern von 2012 bis 2017 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent erwartet, kommt die Türkei auf 5,2 Prozent. Das meinte der Politiker Ali Babacan auf einer Tagung der Regierungspartei AK. Nahezu zeitgleich goss das türkische Statistikamt Öl ins Feuer. Im Oktober war der Index der Lebenshaltungskosten um 1,96 Prozent gestiegen. Die Herstellerpreise lagen mit einem Plus von 0,17 Prozent aber nahezu unverändert. Das leidige türkische Problem: Die Inflationsraten sind zu hoch, als dass man nicht wachsam bleiben müsste. Überhaupt: Folgt man dem Zyklus, treten alle sieben Jahre Probleme auf. Das war 1994 so, 2001 und dann 2008 (s. Kasten links). Istanbul darf demnach 2015 mit Turbulenzen rechnen….
http://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/tid-28200/schwellenland-auf-der-ueberholspur-tuerkische-wirtschaft-waechst-weiter-im-rekordtempo_aid_864708.html
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