Top-Artikel : Türkei -die missverstandene Volkswirtschaft

Thomas Fuster, Wien ⋅ Unter türkischen Ökonomen wird – wie anderswo auch – kontrovers über allerlei Themen gestritten. In einem Punkt herrscht aber Konsens: Die Türkei wird von den Rating-Agenturen missverstanden. Weshalb die 16.-grösste Volkswirtschaft, die sich bezüglich Schulden, Defizit, Wachstum und Banken wohltuend abhebt von der EU und anderen Wirtschaftsregionen, seitens der Rating-Agenturen noch immer wie ein maroder Drittweltstaat mit wackligen Institutionen behandelt wird, stösst allenthalben auf Unverständnis. Am lautesten pflegt Ministerpräsident Erdogan zu wettern. Noch im Mai dieses Jahres – Standard & Poor’s (S&P) hatte bei einem Rating von «BB» soeben den Ausblick von positiv auf stabil korrigiert – warf Erdogan den Bonitätswächtern ideologische Befangenheit vor und drohte damit, S&P in der Türkei nicht länger anzuerkennen. Auf Erdogans persönlicher Liste der übelsten Organisationen rangieren die Rating-Agenturen weit oben, und kaum jemand in der Türkei verargt es ihm.
Ob sich die Beziehung nun etwas entspannen wird, nachdem die Türkei von Fitch in den Klub der Investment-Grade-Staaten aufgenommen worden ist, bleibt abzuwarten. Die Heraufstufung ist jedoch eine ebenso verdiente wie verspätete Anerkennung für einen ökonomischen Erneuerungsprozess, der nach der Krise von 2001 mithilfe des Internationalen Währungsfonds in Angriff genommen und seither konsequent weiterverfolgt wurde. Man kann über den politischen Leistungsausweis von Erdogans Regierung, die mangels innenpolitischer Konkurrenz zusehends selbstherrlicher auftritt, geteilter Meinung sein. Wirtschaftlich ist der regierenden AKP, die am Wochenende ihr Zehn-Jahre-Jubiläum an der Regierungsspitze feierte, aber eine gute Note zu erteilen; das Geburtstagsgeschenk von Fitch wurde hart erarbeitet. So könnte auch Brüssel, das seinen Überlegenheitsdünkel gegenüber Ankara bisweilen nur schlecht kaschiert, bei der ökonomischen Revitalisierung der EU einiges lernen vom verschmähten Beitrittskandidaten.

http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/die-tuerkei–die-missverstandene-volkswirtschaft-1.17763191

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