Nachwuchstalente und erfahrene Köpfe hören die Signale und kehren gerne zurück.

Staat und Privatwirtschaft ziehen in der Türkei an einem Strang, wenn es um den Forschungsstandort Türkei geht. Nachwuchstalente und erfahrene Köpfe hören die Signale und kehren gerne zurück.
Für die Materialwissenschafterin Meltem Sezen wurde vor einem Jahr der Traum jedes ambitionierten naturwissenschaftlichen Talents wahr: Nach fünf Jahren und dem Abschluss ihres Doktorats in Graz fand sie sich in einem nagelneuen Zentrum genau für ihr Forschungsgebiet wieder, in einem jungen Team ausgesuchter multidisziplinärer Fachkräfte, mit der Möglichkeit, die neuesten Forschungsinstrumente und -maschinen zu bestellen und den eigenen Forschungsbereich selbst zu definieren. “Ich bin vollkommen zufrieden”, sagt die junge Wissenschafterin und ihrer Stimme ist anzuhören, dass dies noch eine große Untertreibung ist.
Die Türkei investiert in die Forschung und bemüht sich um ihren wissenschaftlichen Nachwuchs, auch aus dem Ausland. Mit einem jährlichen Anstieg der Forschungsausgaben von zuletzt fast 15 Prozent und einer engagierten Privatwirtschaft wird im Eiltempo nachgeholt. Der Neustart muss nicht aus dem Nichts gelingen: Die Türkei kann mit 175 Almae Matres auf das dichteste Universitäten-Netz Europas und eine Vielzahl anerkannter internationaler Forschungseinrichtungen zurückgreifen. Ein besonderer Schwerpunkt der Forschungspolitik von Staat und Wirtschaft sind vielseitig anschlussfähige Zukunftstechnologien wie die Nanotechnologie.Die Istanbulerin Meltem Sezen ist vor einem Jahr in ihre Heimatstadt an die Sabanci Universität zurückgekehrt. Sie arbeitet am neu gegründeten Sunum Center für Nanotechnologie, das im Juli 2011 feierlich eröffnet wurde. Rund 25 Millionen Euro haben Entwicklungsministerium und Sabanci Stiftung bislang investiert, um in dem zweistöckigen Gebäude, das nach allen Regeln der Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit errichtet und betrieben wird, nanotechnologische Forschung auf höchstem Niveau zu betreiben. Die exzellent ausgestattenden Labore und Arbeitsplätze sollen der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung gleichermaßen dienen. “Ich hatte nicht erwartet, in der Türkei derartig ideale Bedingungen vorzufinden”, sagt Sezen, die ursprünglich nicht in der Türkei nach einem Job suchte. Jetzt reißt sie der Neubeginn hin: “Als ich kam, war das Gebäude gerade erst im Entstehen.
Wir bauen alles neu auf, können es nach unseren Bedürfnissen mitgestalten.”Nur wenig mehr als ein heißes Jahrzehnt benötigte die Türkei, um in Forschung und Entwicklung aufzuholen: Betrugen die Forschungsausgaben 1998 noch 0,34 Prozent des BIP, sind es heute bereits 0,84 Prozent – zweier Wirtschaftskrisen zum Trotz. Bis 2013 will die türkische Regierung die Zwei-Prozent-Marke erreichen. Nahezu die Hälfte der insgesamt etwa 3,9 Mrd. Euro für die Forschung kam 2010 aus der Privatwirtschaft, rund 30 Prozent vom Staat. Während sich die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen vervierfachte, sah das Türkische Patentamt zwischen 1998 und 2004 eine Verzehnfachung der Einreichungen.Noch sind nicht alle hochspeziellen Geräte im Sunum Center eingetroffen – auch wenn in den vergangenen Monaten rund 80 “Maschinen” geliefert wurden, fast täglich eine kostbare Sendung. Elektronenmikroskope, insbesondere Ionenstrahlmikroskope wie das von Sezen benötigte, können leicht 1,5 Millionen Euro kosten. “Am Sunum Center werden wir demnächst über eine Ausstattung verfügen, die zu den weltbesten gehört”, sagt sie. Die Materialwissenschafterin war fast fünf Jahre lang am Institut für Elektronenmikroskopie der TU Graz (FELMI) und am Zentrum für Elektronenmikroskopie ZfE tätig, wo sie promovierte und sich auf fokussierte Ionenstrahlung spezialisierte. Mit dieser Technik können molekulare Strukturen von Oberflächen auf der Nanoebene untersucht, aber auch verändert werden. Die fokussierte Ionenstrahlung gewinnt in der nanotechnologischen Forschung zunehmend an Bedeutung, es wird versucht, konkrete Anwendungen aus der Nanomanipulation durch Licht abzuleiten. Anwendungen sind in allen Bereichen denkbar: von der Medizin bis zu neuen Werkstoffen. Sezen ist die erste Wissenschafterin in der Türkei, die auf diesem Gebiet promovierte und bereits gearbeitet hat.In Graz wird Sezen sehr geschätzt – aus fachlichen Gründen und als wichtige Schnittstelle, denn die Einrichtung des Sunum Centers wertet Harald Plank, Nanostrukturforscher am ZfE Graz, als “deutliches Signal für einen nationalen Forschungsschwerpunkt”. Das ZfE, das zu den weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet gehört, ist sehr interessiert daran, Kooperationen mit dem neuen Zentrum aufzubauen.
Die 1999 gegründete Sabanci-Universität, an der das Sunum Center angesiedelt ist, ist eine von 62 privaten Universitäten in der Türkei, von denen die meisten in den 1990er Jahren gegründet wurden – zusätzlich zu 33 neuen staatlichen Universitäten, die seit 2002 hinzu kamen. “Privatuniversität ist ein wenig missverständlich”, sagt Mustafa Aydin. “In der Türkei dürfen private Universitäten keine Gewinne machen. Wir sind also eigentlich NPOs.” Die privaten Universitäten beruhen in der Regel auf Stiftungen ihrer Gründer, die ihnen zumeist auch den Namen verleihen. Wie bei der 1997 etablierten Kadir Has Universität, deren Rektor Aydin seit zwei Jahren ist. In traumhafter Lage am Goldenen Horn in einer ehemaligen Tabakfabrik angesiedelt, legt diese Universität es darauf an, höchste Qualität zu bieten. “Wir wollen nicht mehr Studierende, sondern bessere”, formuliert es Aydin. Die Universität hat derzeit 5118 Studierende, die an sechs Fakultäten studieren: von Kunst über Ingenieurwissenschaften bis zu Wirtschaft und Recht. Die Mischung aus Geistes- und Naturwissenschaften wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich, scheint aber den Interessen der Studierenden entgegenzukommen. Erst vor kurzen wurde ein Fachbereich für Gender Studies gegründet. Das akademische Personal stammt zumeist aus der Türkei, nicht selten wurden erfolgversprechende Professoren aus dem Ausland zurückgeholt. Die Studiengebühren an der Kadir Has Universität liegen mit 7000 bis 12.000 Euro im Mittelfeld, aber Aydin weist darauf hin, dass fast drei Viertel der Studierenden Stipendien erhalten, die die Kosten um die Hälfte reduzieren, in einigen Fällen werden die Gebühren erlassen. Die Studierenden kommen vor allem aus dem gehobenen Istanbuler Mittelstand, ihre Eltern sind Unternehmer, die Kinder sollen einmal das elterliche Geschäft übernehmen. Soziale Abgehobenheit will Direktor Aydin allerdings verhindern. Lehrgänge in sozialer Verantwortung sind daher verpflichtend zu belegen, die Studierenden engagieren sich in Nachbarschaftsprojekten und geben Volkschülern Unterricht in Theater oder Sport, die Kunststudierenden organisieren Kunstprojekte in den ärmeren Randbezirken Istanbuls.

http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wzlebensart/reisen/448938_Deutliche-Signale.html

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