Türkei wirbt um Investoren ausserhalb Europas

Angesichts der Dauerkrise in Europa und der Zurückweisung durch die EU schaut sich die Türkei immer stärker nach außereuropäischen neuen Partnern um. Jüngstes Beispiel ist der Besuch des designierten chinesischen Vizepräsidenten Xi Jinping in Ankara und Istanbul Ende Februar. Erst vor Kurzem hatte die Türkei auch arabische Investoren umworben und sich ausdrücklich als Alternative zum Investitionsstandort Europa empfohlen. Beobachter sehen die außenwirtschaftliche Initiative Ankaras auch als Folge des Widerstandes gegen die türkische EU-Bewerbung in europäischen Hauptstädten. „Wenn Deutschland und Frankreich uns nicht wollen, dann heißt es: Adiós“, sagt der Wirtschaftskolumnist Deniz Gökce.

Dass Xi, der aller Voraussicht nach im kommenden Jahr neuer chinesischer Staatspräsident wird, bei seiner ersten großen Auslandsreise in der Türkei Station machte, ist kein Zufall. Beide Länder sind wegen der Krise in Europa auf der Suche nach neuen Partnern, sagt Idris Kardas von der Plattform für globale Herausforderungen, einer Denkfabrik der Istanbuler Bilgi-Universität.

China betrachtet die Türkei als wichtigen Akteur im Nahen Osten, und der Besuch von Xi wird das Renommee der Türken in der Region noch weiter wachsen lassen.Die Türkei sieht China nicht nur als neue Weltmacht, sondern auch als potenziell wichtigen Handelspartner: Die beiden Länder wollen ihr Handelsvolumen von derzeit jährlich 20 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2020 auf 100 Milliarden Dollar steigern. Dabei strebt die Türkei insbesondere einen Ausbau ihrer Exporte nach China an.

„Die Türkei kann nicht auf Europa warten“, sagt Kardas. Neue Impulse für die eigene Wirtschaft und die eigene regionalpolitische Position erwartet Ankara demnach nicht aus der EU, die lange der Fokus für die Außen- und Wirtschaftspolitik der Türkei war, sondern aus anderen Teilen der Welt. Die Umorientierung passt zum politischen Trend. Angesichts des Stillstands in ihren EU-Beitrittsverhandlungen streckt die Türkei ihre Fühler in andere Weltgegenden aus, besonders nach Nahost, Afrika und Asien. Türkische Politiker wollen das nicht als Ende der Westbindung ihres Landes verstanden wissen, sondern als Ergänzung. Doch feststeht, dass die EU für die Türkei an Bedeutung verliert.

Erst kürzlich hatte Vizepremier Ali Babacan dieses Konzept mit einem Vergleich zwischen Europa und dynamischeren Weltgegenden beschrieben. Europa nehme zwar 45 Prozent der türkischen Exporte ab, sagte Babacan. Aber glücklicherweise gebe es ja auch noch die 55 anderen Prozent: „Diese außereuropäischen Märkte wachsen stark, und das ist ein guter Ausgleich.“

Nicht nur China wird von der Türkei umworben. Vor wenigen Wochen hofierten türkische Minister mehrere Dutzend Unternehmer aus den ölreichen Golfstaaten. Die Türkei biete viele Möglichkeiten für Investoren – und die Länder am Golf hätten das nötige Geld dafür, sagte Finanzminister Mehmet Simsek: „Das ist eine wunderbare Kombination.“ Ausländische Investoren hatten seit dem Jahr 2002 einen beträchtlichen Anteil am Aufstieg der Türkei vom Armenhaus zum Mitglied der G 20, dem Zusammenschluss der stärksten Industrienationen und Schwellenländer der Welt. In den vergangenen zehn Jahren flossen nach Regierungsangaben 110 Milliarden Dollar an Investitionen ins Land, allein im vergangenen Jahr waren es knapp 16 Milliarden – so viel wie in den ersten acht Jahrzehnten der 1923 gegründeten Republik zusammen. Die türkischen Exporte erreichten im vergangenen Jahr trotz der Krise in Europa den Rekordstand von 135 Milliarden Dollar. Das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr dürfte nach Schätzungen der Regierung bei mehr als acht Prozent gelegen haben.

Jedoch schlägt sich das Land mit einem bedrohlich hohen Leistungsbilanzdefizit von rund 77 Milliarden Dollar herum, rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Viele private Haushalte sind hoch verschuldet. Die Regierung hat angedeutet, dass das Wachstumsziel von vier Prozent für 2012 nicht zu halten sein wird.

Ausländische Investoren werden also dringend gebraucht in der Türkei. Bisher kam das Geld vor allem aus Europa: Die EU machte im vergangenen Jahr rund 70 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen aus. Nun sollen außereuropäische Akteure wie Araber und Chinesen stärker für die Türkei interessiert werden.

Von Investitionen in Europa rät die Türkei ihren neuen Partnern dagegen ab. Während eines Besuchs in Dubai sagte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül kürzlich, Europa habe eine überalterte Bevölkerung, stecke in der Krise und habe sein Wachstumspotenzial ohnehin ausgereizt. In Europa gebe es keinen Bedarf an neuen Gebäuden, Straßen, U-Bahnlinien oder Flughäfen mehr, sagte der Präsident. In der Türkei dagegen schon, lautete Güls Botschaft.

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/blick-gen-osten-und-sueden/6285764.html

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