Türkisches Budget für 2012 weist nur geringes Defizit auf

Von Marcus Knupp

Istanbul (gtai) – Die türkische Plan- und Budgetkommission hat im November 2011 den Budgetentwurf für 2012 verabschiedet. Mit geplanten Ausgaben von 350,9 Mrd. TL und Einnahmen in Höhe von 329,8 Mrd. TL verringert sich das Haushaltsdefizit von rund 1,7% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) 2011 auf voraussichtlich nur noch 1,5% des BIP 2012. Ein sehr großer Teil der Einnahmen entfällt in der Türkei auf indirekte Steuern. Eine Reform der Einkommensteuer ist geplant und könnte die Struktur ausgleichen.

Seit dem tiefen wirtschaftlichen Einbruch 2001 fährt die türkische Finanzpolitik einen strikten Konsolidierungskurs. Von zweistelligen Defiziten konnte die Regierung die Haushaltslücke ab 2005 unter 2% halten und damit den Maastricht-Kriterien des Euro-Raums gerecht werden. Eine Ausnahme bilden die Jahre 2009 und 2010, in denen im Zuge der internationalen Finanzkrise auch in der Türkei Steuerausfälle und Konjunkturförderpakete das Budget belasteten. Das Defizit konnte jedoch schnell wieder reduziert werden und wird voraussichtlich 2011 erneut unter 2% bleiben.Im Haushalt für 2012 erhöhen sich die geplanten Ausgaben um lediglich 12,0%, die erwarteten Einnahmen dagegen um 13,4%, so dass sich die Lücke weiter verringern könnte. Der Anteil der Steuereinnahmen am Budget 2012 beträgt 84,2%, das entspricht nach Berechnungen des türkischen Finanzministeriums 19,5% des Bruttoinlandsproduktes. Nach Verzögerungen bei der Privatisierung der Stromverteilungsnetze 2011 und den dadurch bedingten Mindereinnahmen hofft die Regierung für 2012 auf den Abschluss der Verfahren und entsprechende Zuflüsse.

Haushalt 2011 und 2012 im Vergleich (Mrd. TL)
Kennziffer 2011 1) 2011 2) 2012 3)
Ausgaben 312,6 313,2 350,9
.ohne Zinszahlungen 265,1 270,6 300,6
.Zinszahlungen 47,5 42,6 50,3
Einnahmen 279,0 290,9 329,8
.Steuereinnahmen 232,2 249,4 277,7
Haushaltslücke 33,5 22,2 21,1
Überschuss vor Zinszahlungen 14,0 20,4 29,2

1) Haushalt 2011; 2) Schätzung der tatsächlichen Werte zum Jahresende; 3) Haushalt 2012; Wechselkurs am 9.12.11: 1 Euro = circa 2,45 TL

Quelle: Türkisches Finanzministerium (Maliye Bakanligi)

Entwicklung des Haushaltsdefizites
Jahr 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Defizit (in % des BIP) 11,5 8,8 5,2 1,1 0,6 1,6 1,8 5,5 3,6 1,7 *) 1,5 *)

*) Schätzungen

Quelle: Türkisches Finanzministerium (Maliye Bakanligi)

In der Struktur der geplanten Ausgaben zeigt sich die Beschränkung von Posten, bei denen ein gewisser Handlungsspielraum besteht wie der öffentliche Konsum von Gütern und Dienstleistungen oder Investitionen. Bei letzterer Position ist zu beachten, dass mehr und mehr öffentliche Infrastrukturvorhaben in private Hand überführt werden beziehungsweise als Beteiligungsmodelle wie BOT (Build-Operate-Transfer) vorgesehen sind. Personalausgaben steigen in etwa mit dem Gesamthaushalt. Das steigende Zinsniveau in der Türkei führt zu höheren Ansätzen bei den Zinszahlungen. Interessant sind die Steigerungen bei Transfers und Kreditvergabe als Hinweise auf einen Ausbau sozialer Sicherung und eine stärkere Förderung durch staatliche Kredite.

Ausgabenstruktur des türkischen Haushaltes (Mrd. TL)
Ausgabengruppe 2011 1) 2012 2) Veränderung (%)
Personal 73,5 81,7 11,2
Beiträge zur Sozialversicherung 13,0 14,3 10,0
Güter und Dienstleistungen 32,6 28,9 -11,4
Zinszahlungen 42,6 50,3 17,9
Laufende Transfers 110,3 130,2 18,1
Investitionen 30,1 27,9 -7,3
Kapitaltransfer 5,3 4,2 -20,3
Kreditvergabe 5,8 8,6 48,0
Zusätzliche Ausgaben 4,8 k.A.
Insgesamt 313,2 350,9 12,0

1) Schätzung der tatsächlichen Werte zum Jahresende; 2) Haushalt 2012

Quelle: Türkisches Finanzministerium (Maliye Bakanligi)

Auf der Einnahmenseite zeigt sich ein sehr großes Gewicht der indirekten Steuern am gesamten Steueraufkommen. Insgesamt 68,4% der Einnahmen stammen aus verbrauchsorientierten Steuern und Gebühren. Diese eher für Entwicklungsländer mit gering entwickelten Finanzbehörden typische Struktur findet sich nach Angaben der OECD auch bei anderen Schwellen- und Transformationsländern wie Chile, Mexiko, Ungarn, Slovenien oder der Slowakei. Umgeht ein großer Teil der Erwerbstätigen beziehungsweise der Unternehmen die direkte Besteuerung, kann der Staat auf diese Weise seine Einnahmen sichern. Ein wesentliches Element hierfür ist in der Türkei die Spezielle Konsumsteuer ÖTV, die auf Güter wie Kfz, Elektrogeräte, Computer, Tabak, alkoholische Getränke und Kraftstoffe erhoben wird. Sie allein stellt ein Viertel der türkischen Steuereinnahmen und wird häufig kurzfristig angepasst.

Einnahmenstruktur des türkischen Haushalts (Mrd. TL)
Einnahmenart 2011 1) 2012 2)
Steuern 249,4 277,7
.Einkommensteuer 47,7 53,8
.Unternehmenssteuer 26,1 27,2
.Mehrwertsteuer (KDV) 30,4 33,6
.Einfuhrumsatzsteuer (KDV) 48,3 53,9
.Spezielle Konsumsteuer (ÖTV) 62,7 70,6
.Kfz-Steuer 5,9 6,7
.Banken- und Versicherungssteuer 4,1 4,5
.Stempelsteuer 6,4 7,3
.Sonstige Steuern 9,7 10,8
Gebühren 8,2 9,3
Andere Einnahmen 41,6 52,2

1) Schätzung der tatsächlichen Werte zum Jahresende; 2) Haushalt 2012

Quelle: Türkisches Finanzministerium (Maliye Bakanligi)

Im Sinne einer stärkeren Beachtung der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler und der Steuergerechtigkeit plant die Regierung 2012 eine Reform des Einkommensteuergesetzes und ein verstärktes Vorgehen gegen die Schattenwirtschaft. Deren Verringerung steht allerdings schon seit etlichen Jahren auf der Agenda, ohne dass es erhebliche Fortschritte gegeben hätte. Die zuständige Kommission beim Finanzministerium schätzt den Anteil der Schattenwirtschaft an der türkischen Wirtschaftsleistung auf mindestens 28%, andere Schätzungen gehen von bis zu 40% aus.

Dazu gehören natürlich viele Geringverdiener des informellen Sektors, deren Steuerpflicht ohnehin gering wäre. Aber dazu gehören auch größere Unternehmen beziehungsweise deren Mitarbeiter, die beispielsweise nur mit dem Mindestlohn in den offiziellen Gehaltslisten stehen. Dies lässt sich interpretieren als eine nicht staatlich geförderte besondere Art der Kapitalbildung auf Seiten der Unternehmen und als Stimulans zusätzlichen Konsums bei den Arbeitnehmern. Dieser wird dann konsequenterweise stärker besteuert – zum Nachteil jener, die ihre Einkommensteuer korrekt bezahlt haben.

Höhe und Art der Besteuerung 2008 (Anteil am BIP in %)
Gebiet Gesamte Steuereinnahmen Direkte Besteuerung *) Indirekte Besteuerung *)
Türkei 23,5 5,7 10,8
Deutschland 36,4 11,6 10,5
OECD-Durchschnitt 35,8 13,2 10,9

*) Nicht alle Steuerarten gehen in diese Kategorien ein, daher ist die Summe geringer als die gesamte Steuerlast.

Quelle: OECD Factbook 2010

Ein im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um die Verringerung des hohen Handelsbilanzdefizits der Türkei zu beachtender Posten ist die Einfuhrumsatzsteuer. Deren Ertrag übertrifft jenen der bei Transaktionen im Lande selbst erhobenen Mehrwertsteuer erheblich. Geringere Importe würden daher zu deutlichen Einnahmeverlusten führen, bei Berechnung in Türkischer Lira im Falle eines weiteren Kursverlustes gegenüber US-Dollar und Euro allerdings zunächst nominal gedämpft.

(S.K.)

http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=412076.html

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