Türken versuchen die “weiche Landung”

“Wir schalten auf den vierten Gang herunter”, kündigt der türkische Staatsminister Ali Babacan an. Nach langer Boomphase soll sich die Wirtschaft einbremsen. Doch die größte Sorge bleibt das Handelsbilanzdefizit.

Für einen Liter Benzin bekommt man in der Türkei mittlerweile sieben Tageszeitungen, zweieinhalb Kilo Orangen oder eine kurze Taxifahrt. Am Rekordpreis für den Treibstoff zeigen sich Furcht und Dilemma der türkischen Wirtschaft. In der ersten Hälfte 2011 war sie mit 10,2 Prozent unter den am schnellsten wachsenden der Welt. Nun versuchen die Türken eine weiche Landung in einem Umfeld von massiven Steuererhöhungen, Inflation und Unsicherheit über die Auswirkungen der Eurokrise auf das Land.

4,60 Lira stehen dieser Tage auf den Anzeigetafeln der Tankstellen, 1,89 Euro nach derzeitigem Wechselkurs, aber 2,32 Euro nach dem Kurs im Vorjahresmonat. Innerhalb eines Jahres hat die türkische Lira 20 Prozent ihres Werts gegenüber Euro und Dollar verloren. Es ist einer der Faktoren, die Zweifel daran nähren, wie weich die Landung tatsächlich wird.

Die Zentralbank hat lange den Fall der türkischen Lira in Kauf genommen und Leitzinsen noch gekürzt, während die Wirtschaft zweistellig wuchs. Türkische Exporte sollten damit angekurbelt und das enorme Handelsbilanzdefizit eingedämmt werden. Der Erfolg blieb aus. Dafür stieg mit der schwachen Lira erst recht die Rechnung für die Öl- und Gasimporte, auf die die Türkei in hohem Maß angewiesen ist.

Im Oktober sprach die Zentralbank in Ankara plötzlich von einer “exzessiven Abwertung”, verjubelte zuerst einen Teil ihrer kleinen Dollarreserven, um die Lira zu stützen, und korrigierte schließlich ihre lang umstrittene Geldpolitik: Zwar blieb der Leitzins – für türkische Verhältnisse – unverändert niedrig bei 5,75 Prozent; doch ein anderer Zinssatz für die Geldleihe über Nacht wurde von neun auf 12,5 Prozent heraufgesetzt. Zugleich gelten für die türkischen Banken hohe Anforderungen an Kapitalmindestreserven.

Finanzminister Mehmet ªim- ºek lässt die Kritik an der unorthodoxen Geldpolitik nicht gelten. “Wir geben uns nicht mit dem Mikromanagement von Wechselkursraten ab”, sagte er dem Standard. Die Abwertung der Lira sei innerhalb eines klaren Rahmens geschehen, den die Zentralbank gesetzt habe. “Wir wollten kein “hot money” anziehen, sondern die Inlandsnachfrage drosseln”, erklärte der türkische Minister. Die Industrieländer hätten mit ihrer lockeren Währungspolitik viel Liquidität geschaffen, die türkische Zentralbank dagegen viel Umsicht bewiesen.

Şimşek und Ali Babacan, der Staatsminister für Wirtschaft, überraschten die konsumfreudigen Türken mittlerweile mit einer starken Erhöhung der sogenannten Sonderverbrauchssteuer auf Autos, Mobiltelefone, Alkohol oder Zigaretten. Zwischen 80 und 130 Prozent Extrasteuer müssen die Türken nun zum Beispiel je nach Hubraum für importierte Autos zahlen, 25 Prozent für Mobiltelefone, zusätzlich zu den 18 Prozent Mehrwertsteuer. Auch der Benzinpreis kletterte wieder.

Die Regierung unternahm damit einen weiteren Versuch, den Konsum zu bremsen, und kassiert nebenbei – so plant sie zumindest – 1,7 Milliarden Euro im Jahr extra an Steuern. Dies ist Teil der Bemühungen, sich gegen Auswirkungen der Eurokrise zu wappnen: den Rückzug von Auslandsinvestitionen und schwindende Aufträge für türkische Exporteure.

Ein Gang weniger

Statt voraussichtlich sieben Prozent plus in diesem Jahr wird die türkische Wirtschaft 2012 nur noch um 2,5 Prozent wachsen, so schätzt der IWF. Die türkische Regierung glaubt an vier. “Unsere Wirtschaft schrumpft nicht”, erklärte Babacan, “wir sind im fünften Gang gefahren, und jetzt schalten wir auf den vierten hinunter.”

Das Handelsbilanzdefizit werde mit der sinkenden Nachfrage nach Importgütern deutlich zurückgehen, sagte ªimºek unlängst vor Journalisten aus der EU. Zum Jahresende wird das Defizit jedenfalls bei knapp zehn Prozent des BIP stehen. Es ist der höchste Wert unter den OECD-Ländern. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.11.2011)

http://derstandard.at/1319183312847/Geldpolitik-Tuerken-versuchen-die-weiche-Landung

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